„Tag der Opfer des Faschismus“ – 8.9.2013

Worte des Gedenkens, der Erinnerung und der Mahnung Heute Vormittag war ich bei der Gedenkveranstaltung und Kranzniederlegung des Thüringer Verbandes der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten auf dem Erfurter Hauptfriedhof zu Gast. Auf Einladung der Vorsitzenden der Basisgruppe Erfurt Martina Renner habe ich die Gedenkrede vor den rund 40 Teilnehmern der Veranstaltung gehalten. Unter den Gästen waren auch Stadtratskollegen der anderen Erfurter Stadtratsfraktionen und gemeinsam haben wir einen Kanz niedergelegt. Nachfolgend meine Gedanken zu der Gedenkveranstaltung: Vor 68 Jahren, am 9. September 1945, fand der erste „Tag der Opfer des Faschismus“ statt. In Berlin versammelten sich im Neuköllner Stadion, das für fünf Jahre den Namen Werner-Seelenbinder-Kampfbahn trug, rund 90.000 Kundgebungsteilnehmer und gedachten der Opfer des Faschismus. Der Terror des Naziregimes stand allen lebhaft vor Augen. Es waren keine elf Monate vergangen, seit dem Werner Seelenbinder im Zuchthaus Brandenburg enthauptet worden war. Über die Jahre differenzierte sich das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und das Erinnern an die Untaten der Nazis. Der Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee im Jahr 1945, der 27 Januar, ist zum „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ geworden. Im Jahr 2005 wurde er durch die Vereinten Nationen zum „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“ erklärt. Am 8. Mai erinnern wir an den „Tag der Befreiung“, den Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht 1945. Am 20. Juli gedenken wir des gescheiterten Attentats der Widerstandskämpfer um Graf Stauffenberg auf Adolf Hitler im Jahr 1944. Der Volkstrauertag im November erinnert an die Kriegstoten und die Opfer der Gewaltherrschaft aller Nationen. Um der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken und vor neuen Nazis zu warnen, wurde und wird auch am 30. Januar demonstriert, dem Tag der Machtergreifung Hitlers 1933. Wir erinnern am 1. September an den Tag des Beginns des 2. Weltkriegs 1939, den Überfall auf Polen. Antikriegstag wurde er im Westen genannt, Weltfriedenstag im Osten. Und am 9. November erinnern wir an den Tag der Reichspogromnacht 1938 und gedenken ihrer Opfer. Diese Ausdifferenzierung des Erinnerns und Gedenkens ist einerseits gut und richtig, andererseits aber auch nicht unproblematisch. Sie ist gut und richtig, weil sie vor unzulässigen Vereinfachungen schützt. Die Gefahren, die das friedliche Zusammenleben der Menschen bedrohen, sind komplex. Wer zu einfache Antworten gibt, gibt falsche Antworten. Das zeigen gerade junge Neonazis, die simplen Parolen auf den Leim gehen ohne selbst nachzudenken. Ausdifferenzierung ist aber problematisch, wenn sie den Blick verstellen würde auf die Werte, die alle Demokraten einen. Wenn jeweils besonderer Opfer gedacht würde und das gemeinsame Anliegen dabei aus den Augen geriete. Wer in der DDR in der 8 Klasse mit der FDJ-Gruppe die Gedenkstätte Buchenwald besuchte, wer in der 9. Klasse im Deutschunterricht „Nackt unter Wölfen“ von Bruno Apitz las, und wer später, wie auch ich das Holocaust-Memorial in Washington und Yad Vashem in Jerusalem besichtigte, der lernte recht unterschiedliche Perspektiven auf die Verbrechen des Nationalsozialismus und den Widerstand dagegen kennen. Wer aber verhindern will, dass Geschichte sich wiederholt, der muss sich mit ihr in ihrer Gesamtheit auseinandersetzen und der Versuchung widerstehen, Teilaspekte als Waffe gegen politische Gegner zu instrumentalisieren. Die Verteidigung der Würde eines jeden Menschen, die Verteidigung der Freiheit und der Grundrechte darf nicht relativiert werden. Dies sind wir den Opfern schuldig! Wer nicht gemeinsam an Meinungsfreiheit, an Pressefreiheit, an Gewaltenteilung, an freien Wahlen festhält, gerät über kurz oder lang wieder in Zustände, die das unblutige Ablösen einer Regierung in einem demokratischen Verfahren unmöglich machen. So zeigen es die Schicksale von Diktaturen immer wieder, jüngst erst die Ereignisse in der arabischen Welt. Am 17. August haben wir in der Trommsdorffstraße dagegen demonstriert, dass NPD-Aktivisten dort ihre Parolen verbreiten wollten. Aber das allein reicht nicht. Hinschauen und nicht Wegschauen beginnt bereits dort, wo im alltäglichen Leben Vorurteile gegen andere Menschen verbreitet und bestärkt werden. Anschauungen, die den Nährboden dafür bieten, dass verblendete Fanatiker sich radikalisieren. Wir haben lernen müssen, dass sehr genaues Hinschauen auch unbedingt dort nötig ist, wo es das jahrelange Morden der NSU-Täter hätte verhindern können. In Berlin-Neukölln stand 1945 in der Mitte des Kundgebungsplatzes ein Ehrenmal von Hans Scharoun mit der Inschrift „Die Toten mahnen die Lebenden“. Diese Inschrift ist nach wir vor aktuell – das letzte NSU-Mordopfer, der 21-jährige Halit Yozgat, starb am 6. April 2006 in Kassel. Die Inschrift mahnt und verpflichtet uns das Leben und die Freiheit eines jeden Menschen zu verteidigen.